Gedankenverloren

15. September 2006 § Hinterlasse einen Kommentar

Oben sind die flauschigen Wolken, unten ist die nasse Straße, dazwischen liegt nichts, außer eine angeblich hübsche Aussicht auf die beleuchtete Stadt. So hübsch ist die sie gar nicht. Die Mädchen hier waren früher auch irgendwie aufregender und dauernd werden irgendwelche Parks in Parkplätze umgewandelt. Da gibt´s nicht viel, was man machen kann, außer sich zu besaufen. Hier kriegt man schon als Kind vorgelebt dass du saufen mußt, sonst gehts dir dreckig. Diese Sauferei macht dich langsam kaputt, aber du siehst deinen eigenen Verfall ja nicht. Und als Kind, dass seine Eltern zu jeder sinnlosen Party begleitet, die immer damit enden das jemand rumbrüllt, sich prügelt oder gar mit Mord und Totschlag droht, weiß man es eben nicht besser: Das Leben ist beschissen. Wer sich als zehnjähriger sowas eingestehen muss, erkennt leicht, dass er gar keine andere Chance hat, als so zu werden wie die Alten. Für die ist das beschissene Gefühl ein Normalzustand, NormalNull sozusagen, während du dir jeden Tag die Seele aus dem Leib kotzen möchtest und nichtmal weißt warum.
Doch wenn dir dann der Wind um die Nase Pfeift, 13 Stockwerke über den Boden, ohne die ekelhaften Abgase oder den Geruch vom bitteren Alkohol im Atem deiner Mutter, dann glaubst du bald, allen Meinungen deiner Vertrauten zum Trotz, dass dein Leben ganz anders sein kann.

„Ja, da oben vielleicht“, werden sie sagen, wenn sie dich hören. „Aber die Realität sieht nun mal ganz anders aus, dass kann ich dir flüstern.“ Und damit wären die philosophischen Ansätze und der Weg über die eigene Kreativität in ein interessanteres Leben bereits im Keim erstickt. Genau wie du selbst, wenn du nicht aufpasst. Plötzlich kommt dir in den Sinn, dass du vielleicht anders bist als die Gestalten, die dazu bestimmt wurden dich aufzuziehen. Und dass auch nur, weil du auf dem hässlichsten Gebäude der Stadt geklettert bist. Von hier oben ist die Aussicht ganz gut, aber von da drüben, wo du jeden Tag durch deinen eigenen Dreck und durch den der anderen kriechst, starrst du permanent dieses hässliche, graue Gemäuer an und gibst ihm die Schuld an allem.

Als Kind hab ich verzweifelt versucht, mir das Rauchen anzugewöhnen. Ein Sechzehnjähriger riet mir damals, nicht damit anzufangen. Er selber zelebrierte seine alberne Sucht und Vorstellung vom erwachsen sein mit glänzenden Sturmfeuerzeugen, coolen Fingertricks beim drehen und dem lässigstem Gesichtsausdruck, den je ein sechzehnjähriger mit dampfender Kippe in der Schnauze und zugekniffenen Augen aufsetzen konnte. Eine Art James Dean mit Mofa. Ich solle gar nicht erst anfangen, er könne auch schon nicht mehr aufhören damit. Das blöde gekiffe, das die ganze Qualmerei mit sich brachte ging mehr oder weniger an mir vorbei. Mir ging´s nie so beschissen, dass ich anfangen musste zu quarzen damit mir schlecht wurde, um mich besser zu fühlen. Ich ließ es bleiben, was mir Lob in der Familie einbrachte, mich jedoch gleichzeitig ausgrenzte. Doch davon merkte ich damals eigentlich wenig, denn ich fing gleichzeitig an zu saufen wie ein Loch. Das hat den Vorteil, das man sich auch mal frei fühlen kann, ohne auf Bäume oder hohe Gebäude klettern zu müssen. Und ich war noch mehr auf einer Wellenlänge mit Vatti und Mutti. Sie waren stolz auf mich, haben sie gesagt. Was hilfts, die haben noch nie hier oben gesessen. Die hätten nichtmal die Idee, hier herauf zukommen. Darf man denn das, würden sie fragen. Nicht, wenn man nicht mehr geradeaus laufen kann.

Ich wollte da runter springen. Dreizehn Etagen. Ab und zu rauschte ein Auto die Straße entlang. Ein Schritt, ein kurzer Flug und ein kräftiger Ruck und das wars. Wer weiß, wann ich gefunden würde. So mitten in der Nacht läuft doch kein Schwein hier rum. Und morgen, im laufe des Vormittages würde meine verkaterten alten Herrschaften die Nachricht bekommen. Ein schrecklicher Gedanke, den Tod seines eigenen Kindes erleben zu müssen. Andere würden da erst anfangen zu saufen. Aber was würden die tun?

Vielleicht fängt dich jemand auf, wenn du einfach springst. Du genießt den Flug und machst dir keine Gedanken. Wenn´s schief geht, hast du trotzdem alles richtig gemacht. Du hast was gemacht. Alle sagen dir, das Leben ist beschissen, aber du warst als einziger konsequent genug um es zu beenden, wenn du´s schon nicht in die richtigen Bahnen lenken konntest. Genieß die frische Luft, während des freien Falls. Sie schmeckt sicherlich anders, als alles, was du bisher in dich hinein gesaugt hast. Und sie wird das letzte sein, an was du denkst, wenn dich keiner auffängt. Es ist sogar ziemlich warscheinlich, dass da unten niemand für dich steht. Du bist schließlich nicht der Mittelpunkt der Welt. Vielleicht nimmst du besser die Treppe, wie alle anderen auch.

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