Der Barmann

11. September 2006 § Hinterlasse einen Kommentar

Draußen ist´s so schön still. Eben kramte noch der Wind eilig in den Baumkronen, offensichtlich hat er nun gefunden, wonach er gesucht hat. Wie soll man bei dieser Ruhe schlafen können? Immer wieder schweben diese Dinger durchs Schlafzimmer. Im Licht kann man sie nicht sehen, aber ihre kleinen Schatten geistern um den fahlen Laternenschein herum, über und unter meinem Bett. Sie denken, ich schlafe, aber ich bin hellwach. An nichts denken soll man, wenn einem der Schlaf fern bleibt. Ich denke ja an nichts. Ich denke, dass ich an nichts denke. Wie denkt man an nichts? Diese fiesen kleinen Dunkeldinger machen´s einem recht schwer. Man balanciert vorsichtig zwischen den Welten, ohne genau zu wissen wo´s denn nun hingeht, schon huschen sie über dein Gesicht und du fühlst dich wie von der Erde gestürzt – direkt hinein in dein Bett. So liegt man mit offenen Augen da, erschrocken und völlig deplaziert. Offensichtlich ist das Bett im Augenblick nicht der richtige Ort.

Irgendeine höhere Macht, was ja immer meine Lieblingserklärung ist, hat mich dazu bestimmt hinaus zu gehen und zu sehen, was das garstige Wetter von der Welt übrig gelassen hat. Die Dunkeldinger begleiten mich, hoffentlich. Ich möchte sie nicht länger in meinem Schlafzimmer beheimaten. Ich kördere sie mit einem langen Gähnen kurz bevor ich meine Jacke überstreife und die Tür öffne. Wenn sie mir folgen, führe ich sie irgendwo hin, wo sie sich in Ruhe austoben können. Wo die Nacht von ganz wenig Licht durchschossen wird und sich ein paar Typen herumtreiben, um die es mir niemals leid täte. Ich mache mich auf, in die Bar am anderen Ende der Stadt. Ein längerer Fußmarsch folgt, bis ich endlich an der Schwelle der alten Holztür stehe und sie langsam vor mir her schiebe.

Da sitzten sie, die Verlierer und lassen Schultern und Köpfe hängen. Und ich geselle mich dazu. Reden brauchen wir ja nicht, aber was zu trinken wäre schön. Hier findet man sicherlich keinen Schlaf. Nur die Wahrheit in Form von hässlichen Menschen mit pechschwarzen Ringen unter den Augen und Haarausfall. Gebeugt wie ein Affe sitze ich daneben auf einem Barhocker und suche nach meinen kleinen Geistern, die mich einfach nicht schlafen lassen wollen – ich kann sie plötzlich nicht mehr finden. Eben haben sie mich noch verfolgt und jetzt sind sie verschwunden? Vielleicht ist es einfach zu duster hier. Zu deprimierend, selbst für Schatten. Ich bestelle ein Bier und bekomme ein Glas trübe Pisse gereicht, ohne Schaumkrone aber dafür ist das Glas bis zum Rand gefüllt. Und der, der mir das Glas reicht sieht aus wie die absolut ärmste Sau in diesem Laden. Er arbeitet hier schon seit zehn Jahren, sagt er. Ich halte das für eine gute Leistung, eine Spilunke wie diese am Rande der Stadt so lange am Leben gehalten zu haben, doch als er daraufhin etwas näher kommt und sein Gesicht vom dürftigen Licht von der Decke getroffen wird, erkenne ich meine eigenen kleinen Geister wieder. Und da sind noch mehr. Pausenlos flattern sie ihm um die knorpellige Nase und das kantige Kinn mit den weißen Bartstoppeln. Der Mann hat weder Wimpern noch Augenbrauen. Er trägt einen grauen Haarkranz um seinen Schädel und die zwei Wangenknochen in seinem Gesicht sehen aus als ob sie jeden Moment nach vorn herausschießen. Seine Haut wirkt wie sprödes Gummi, das vor lauter Spannung kurz vorm zerbersten steht. „Hier gibts nur Bier, sonst nix“, sagt er feindselig. Ich nicke, nehme einen Schluck und beobachte wie er mit seinem druchnässten Trockentuch sich wieder seinen Gläsern widmet. „Letzte Runde,“ brüllt er plötzlich, als ob ihm gerade danach wäre, dies zu brüllen. Doch wir nehmen ihn ernst und schieben unsere leeren Gläser über den Tresen. Er nimmt jedes Glas für sich, füllt es wieder auf und stellt es dem jeweiligen Gast wieder vor die Nase. Mir gibt er als letzten mein Glas zurück und schaut mich nichtmal dabei an. Stattdessen dreht er sich blitzartig um und röchelt, als hätte er einen Knochen verschluckt. Auf das Röchel kam ein lautes Seufzen, gefolgt von einem wirklich widerlichen Husten, der einem eine Gänsehaut verursachen kann. Meine Schatten und die der anderen werden immer lebendiger und springen durch die ganze Bar, bis über die Theke zu ihm. Ich kann es zwar nicht genau erkennen, aber es sieht so aus als sauge er sie in sich hinein. Jeden einzelnen.

Sämtiche Gläser außer meinem sind bereits geleert. Ich hatte bisher nur die Hälfte getrunken und stürze den Rest hinunter, während er mich wütend anschreit: „Los raus jetzt!“ Alle gehen zur Tür. Ein hängender Kopf und ein schleppender Gang kann einiges erzählen, aber die anderen sind mir jetzt egal und ich trotte ebenfalls zu Ausgang. Der Barmann lässt uns den Rücken zugewandt. Als die Tür hinter mir einrastet, klickt das Schloss und das spärliche Licht in dieser Kaschemme wird augenblicklich gelöscht.Die Saufkollegen, mit denen ich kein Wort gesprochen habe, verteilen sich ohne ein Wort und ich fühle mich erschöpft und reif für´s Bett. Langsam trete ich den Heimweg an und das Einzige, an was ich nun denke ist der Schlaf.

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